“Obsession with the semiotic erosion of meaning and reality led me to create objects that evangelize their own relevance by a direct fusion of word and form. Books (many culled from dumpsters and thrift store bins) are lovingly vandalized back to life so they can assert themselves against the culture which turned them into debris.” – Robert The, 1995

Was ist ein Autor? In Robert Thes Buchobjekten vermag der Autor sich auf einmal selbst zu erkennen: und zwar in dem Moment, wo ihm sein eigenes Buch als Pistole auf die Brust gesetzt wird.  Auf radikale Weise stellt der Künstler die Frage nach zukünftiger Autorschaft neu: Das Buch als Waffe ist hier nicht mehr Metapher für politisches Engagement mit Pamphleten, sondern zielt auf den, der das Buch geschrieben hat. Es zielt auf den Autor und der muss gestehen, dass er nicht der alleinige Herrscher über das Werk ist, auf dem sein Name da prangt. Er war immer schon ein anderer, er ist nicht einfach nur ein Autor, sondern ein hybrides Wesen. Vor allem aber: Er ist nicht echt. Er kopiert und stiehlt und verschuldet sich damit bei seinen Vorbildern und Gegnern hoffnungslos.

In einem Essay für Harper’s Magazine plädierte der Schriftsteller Jonathan Lethem 2007 für ein freizügigeres Urheberrecht (deutsche Übersetzung). Darin beschreibt Lethem auch seine Begegnung mit den Buchobjekten des Künstlers Robert The:

“Vor ein paar Jahren brachte mir jemand ein seltsames Geschenk mit, gekauft war es im Museumsshop vom MoMa: ein Exemplar meines eigenen ersten Romans Knarre mit Begleitmusik (Gun, with Occasional Music, 1994; dt. Heyne 1998) und mitten hinein waren sorgfältig die Konturen einer Pistole geschnitten. … Ich betrachte mein erstes Buch wie einen alten Freund. … Und nun hat mein alter Freund eine neue Form bekommen, eine, die ich mir kaum selbst hätte vorstellen können. Genau genommen war das Pistolenbuch nicht mehr lesbar, doch ich fühlte mich dadurch nicht angegriffen. Die unvorhergesehene Bedeutung des Objekts war sofort klar, die merkwürdige Schönheit seiner neuen Nutzung war ein Lohn für meine Autorschaft, den ich vorher nicht auf der Rechnung hatte.”

Für die Rolle des Autors in der nächsten Literatur spielt dieser Lohn eine entscheidende Rolle. Denn wer weiß, ob es einen anderen noch geben wird. Wenn man wie Jonathan Lethem auf die Geschichte des Einflusses nicht nur in der Literatur, sondern auch etwa in der Musik oder im Film schaut, werden die Grenzen der Werkherrschaft des Autors ohnehin brüchig und porös. Über die gegenwärtigen Diskussionen im Literaturbetrieb über Original und Kopie, Zitat und Anspielung, Leihgabe oder Diebstahl, kann beispielsweise die bildende Kunst nur lachen.

All die Sänger in dir lärmen

Unter Einflussangst leiden laut Harold Bloom Autoren, die sich von übermächtigen Vorbildfiguren emanzipieren wollen. Doch angesichts des heutigen Aufbrechens dieser linearen Erzählung und einem unendlichen Repertoire der Gleichzeitigkeit relativiert sich jede Angst und jeder Einfluss. Einfluss ist nur noch ein Label wie jedes andere auch. Aus Einflüssen ist längst ein Flow geworden, dem keine eindeutige Richtung mehr vorgegeben ist. Für die Autoren der nächsten Literatur ist das eine Selbstverständlichkeit, mitunter finden sie es sogar gut: “All die Sänger in dir lärmen, es ist ein wahrlich großes Fest”, singt Andreas Sprecht von Ja, Panik. Die vergessene Erinnerung, also die von jedem Künstler praktizierte Kryptomnesie, in der nahtlos aufgeht, was man sich irgendwann bewusst oder unbewusst angeeignet hat, wovon man beeinflusst wurde – all das wird selbstbewusste Praxis.

Der promiskuitive Autor

Jonathan Lethem hat Konsequenzen gezogen. Er stellt einen großen Teil seiner Erzählungen Dramatikern und Filmemachern für Adaptionen zur Verfügung. Lethem hat auch Songtexte geschrieben und dann Musiker eingeladen, damit zu arbeiten. Es gibt keine Zugangsbeschränkungen, jeder kann sich an dem Projekt beteiligen. Es gibt keine exklusiven Rechte: wer etwa eine Story von Lethem auf die Bühne bringen will, muss damit rechnen, dass irgend ein anderer Autor gerade ebenfalls an einer Dramatiserung desselben Stoffes arbeitet. Und: Lethem verlangt für jeden Text, der in irgendeiner Form adaptiert wird, eine symbolische Lizenzgebühr von einem Dollar. Wer den gezahlt hat, kann mit dem Text machen, was er will. Er kann ihn verändern, völlig umkrempeln, kürzen oder weiterschreiben, und er kann damit reich werden, ohne je dafür noch etwas an Lethem wieder zahlen zu müssen. Manche Erzählungen stellt Lethem online zur Verfügung, Interessenten können sich aber auch in manchen seiner Bücher bedienen. Eine gewisse Kontrolle – die der Auswahl – behält er sich jedoch vor. Ausdrücklich erlaubt Lethem auch nicht, dass seine Texte mit kommerziellen Zielen einfach vervielfältigt werden. Denn es geht ihm um die Veränderungen, die ein Text bei der Appropriation, bei Adaptionen durchmacht.

Lethem bezieht sich nicht allein auf die literarische Tradition der Intertextualität, wenn er seine Vorliebe für Adaptionen erklärt, für Collagen und Sampling, für ein potenziell unendliches Beziehungsnetz, für Bretons kommunizierende Röhren, die sich in allen Künsten als höchst produktiv erweisen. In unserer Gegenwart spielen für Lethem auch die vielfältigen Versuche von Kreativen eine große Rolle, die nach Wegen suchen, ihre eigenen Produktionen, aber auch andere Materialien frei verfügbar zu machen, damit andere, die nächsten Musiker, Künstler, Autoren oder etwa auch Entwickler von Open-Source-Software sie weiter bearbeiten können.

Es ist eine Sache, zur Kenntnis zu nehmen, dass Adaptionen schon immer Teil künstlerischer Praxis waren. Die gegenwärtige Debatte um Urheber- und Leistungsschutzrechte, um Kopien und Plagiate macht diese an sich banale Einsicht in historische Prozesse mittlerweile zur Provokation. Aber auch das gehört zu den notwendigen Begleiterscheinungen von Paradigmenwechseln. Eine andere Sache aber ist es, adaptive Traditionen in neue ästhetische, ökonomische und letztlich kulturpolitische Konzepte zu überführen. Nichts weniger zeigt das Beispiel von Lethems literarischer Promiskuitivität. Die nächste Literatur wird bei ihm längst praktiziert.

Formen der Aneignung im Web gibt es so zahlreich, dass rasch klar wird: Hier lässt sich in ganz neuer Vielfalt und Freiheit realisieren, was Künstler schon immer praktizieren. Lethem vergleicht seine künstlerische Praxis mit der Open Source-Bewegung im Software-Bereich oder mit der Lizensierungspraxis der Creative Commons. Die künstlerische Freiheit, die hier gemeint ist, lebt davon, dass sie verfügbar ist, dass sie durch Teilhabe erst ermöglicht wird. Das ist der Möglichkeitssinn der nächsten Literatur.